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Hundert Fragen zum Glück

Wie der Staat Lieben zerstört.Wie man
den Staat austrickst, wenn man nicht
liebt. Alles über die Scheinehe.


Dummy, Heft 17, Winter 2007/08


Es war nur eine E-Mail, die Bernd-Mouheddin Schmidt erhalten hatte, knapp und unauffällig: Er solle doch bitte übermorgen bei ihr erscheinen, schrieb die Dame von der Ausländerbehörde, es gehe um die Einreise seiner marokkanischen Frau. „Und bringen Sie doch bitte Fotos mit, auf denen Sie gemeinsam zu sehen sind.“ Zwei Tage darauf fand er sich wieder in einem zugigen Flur, durch den sich vor allem Leute drängten, die ihr Auto ummelden wollten, und in dem es keine Sitzgelegenheiten gab. Also wartete er im Stehen.

Schließlich rief ihn eine junge Frau zu sich ins Büro, blond und korpulent war sie und schaute die meiste Zeit auf ihren Rechner: „Wir müssen einen Fragebogen ausfüllen“, sagte sie und fragte Bernd-Mouheddin Schmidt nach Geburtsdatum und Adresse. Und als nächstes: nach Geburtsdatum und Adresse – seiner Frau. Bernd-Mouheddin Schmidt beantwortete die Fragen und dachte sich nichts dabei. Dann aber wollte sie wissen, ob er Raucher sei. Oder vielleicht Vegetarier? „Könnten Sie vielleicht Mal den Grundriss der Wohnung Ihrer Frau aufzeichnen?“, lautete eine weitere Frage. Und schließlich: „Haben Sie beide eigentlich schon miteinander geschlafen?“ Bernd-Mouheddin Schmidts Antwort war auf die meisten Fragen dieselbe: „Das ist privat. Dazu sage ich nichts.“

Abends rief ihn seine Frau an und weinte: Der Termin bei der deutschen Botschaft sei schrecklich gewesen, man habe von ihr verlangt, einen Grundriss ihrer Wohnung zu zeichnen. Habe wissen wollen, ob ihr Mann Raucher sei oder Vegetarier. Und schließlich sogar gefragt, ob die beiden schon miteinander geschlafen hätten. „Diese Frage hat sie nicht beantwortet, die meisten anderen aber schon – Marokko ist ein ziemlich autoritärer Staat, da sind die Leute es gewohnt, nach persönlichen Dingen gefragt zu werden“, sagt Bernd-Mouheddin Schmidt. Einige Wochen später kam ein Brief von der deutschen Botschaft: Das Visum sei abgelehnt, es bestehe der Verdacht auf Scheinehe. Darüber hinaus hieß es: „Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist auch ohne Unterschrift gültig.“

Geschichten wie die von Bernd-Mouheddin Schmidt und seiner Frau Fatika gibt es oft in Deutschland, meistens ähneln sie sich: Ein Ehepaar bekommt einen Brief, eine E-Mail, manchmal auch nur einen Anruf. Man solle sich kurzfristig bei der Ausländerbehörde einfinden, heißt es dann, oder einer deutschen Botschaft im Ausland. Die Partner erscheinen – und finden sich unversehens in einer Prüfungssituation: Getrennt voneinander werden sie befragt, manchmal schriftlich, manchmal mündlich, bisweilen müssen sie nur zehn Fragen beantworten mitunter über hundert – aber immer geht es um die gemeinsame Ehe und den Partner. „Haben Sie Kinder?“, heißt es dann manchmal. Aber ebenso kann die Frage lauten: „Welche Konfektions- und Schuhgröße hat Ihre Frau?“

Immer geht es bei den Befragungen um etwas, das es in den meisten Beziehungen gar nicht geben kann: Scheinehen. Denn wenn Deutsche untereinander heiraten, dann interessiert es die Behörden nicht, ob es bei der Ehe um Liebe geht oder vielleicht mehr um steuerliche Gründe – bei binationalen Ehen ist das anders: Und hat die Behörde einen schlechten Eindruck von der Beziehung, kann sie feststellen, das die Ehe Dingen dient, die im Behördendeutsch „ehefremde Zwecke“ heißen. Einem Partner, der aus dem Nicht-EU-Ausland kommt, droht dann die Ausweisung – oder er kommt gar nicht erst ins Land hinein.

Dabei sind die Kriterien, nach denen die Behörden eine Ehe bewerten, meist sehr vage: Ein Punktsystem wie etwa bei der Führerscheinprüfung gibt es nicht, sondern die Entscheidung liegt im Ermessen der zuständigen Beamten – fünf unterschiedliche Antworten bei 112 Fragen können da bereits zu viel sein. Allerdings erfahren die wenigsten der Paare die Testergebnisse, meistens verschicken die Behörden einfach Bescheide, ohne Angaben von Gründen – egal, ob das Resultat positiv oder negativ ausfällt. Nach welchen Erfahrungswerten die Tester dabei vorgehen, ist schwer zu sagen: So teilt etwa die Berliner Senatsverwaltung für Inneres lapidar mit, dass Mitarbeiter der ihr unterstellten Ausländerbehörde für ein Gespräch nicht zur Verfügung stehen.

„Natürlich gibt es diese relativ klaren Fälle, etwa wenn die Leute ankommen und nicht ein Wort in einer gemeinsamen Sprache können. Meistens aber stehen die Paare in der Befragung unter großem Druck. Dann kommt es schnell zu unterschiedlichen Ergebnissen.“ Elmar Hörnig ist Rechtsanwalt, spezialisiert auf Ausländer- und Familienrecht. In seiner Berliner Kanzlei berät er häufig Paare, die eine zeitgleiche Befragung fürchten – und auch solche, die sie schon hinter sich haben. Und sich nun um ihre gemeinsame Zukunft sorgen müssen.

Typisch für den Charakter einer zeitgleichen Befragung sei etwa die Sache mit dem Geburtstagsgeschenk, sagt Hörnig. „Denken Sie noch mal genau nach: Hat Ihnen Ihr Partner wirklich keine Blumen geschenkt?“, hieße es dann von Seiten der Beamten. „Nein? Sind Sie ganz sicher?“  Dies gehe dann unter Umständen solange, bis es zum Geburtstag tatsächlich Blumen gegeben habe – von denen der Partner natürlich nichts weiß. „Außerdem kommt es schnell zu Ungereimtheiten: Für manche Leute ist die Bettwäsche weiß, für andere hingegen beige.“

Zudem würden viele der Befragten bewusst lügen: Asylbewerber zum Beispiel haben eine Residenzpflicht, dürfen einen bestimmten Umkreis ohne Genehmigung nicht verlassen. „Viele wohnen ja in diesen furchtbaren brandenburgischen Heimen, in denen man bestimmt keine Frauen kennen lernen kann. Wenn so ein Mensch jetzt aber sagt, dass er seine Frau in Berlin getroffen hat, belastet er sich damit selbst.“ Und am Ende gebe es zwei komplett unterschiedliche Geschichten über das Kennenlernen, ein Super-GAU. „So was geht immer schief. Ich rate den Leuten, in solchen Fällen bei der Wahrheit zu bleiben.“

Nicht immer werden die Ehepaare von der zeitgleichen Befragung überrascht – es gibt auch die Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten: In vielen Internetforen etwa tauschen sich binationale Paare über ihre Erfahrungen mit den Behörden aus – so auch über die Aufgaben, die ihnen gestellt wurden. Teilweise kursieren komplette Bögen im Netz, Hunderte möglicher Fragen sind in ihnen zu lesen. „Wie heißen die direkten Nachbarn?“ können sie lauten, „Auf welcher Seite des Bettes schlafen Sie?“ oder in schönstem Amtsdeutsch: „Wie werden eventuelle Heimfahrten durchgeführt.“

Michael Weber und seine Frau Natascha (Namen geändert) kennen die Fragebögen im Internet. Sie wissen davon, seit sie beide jeweils einen Brief erhielten; er von einer deutschen Ausländerbehörde, sie von der deutschen Botschaft in Almaty, Kasachstan: „Erscheinen Sie bitte zur Klärung einiger Sachverhalte“, hieß es darin. „Da haben wir zu überlegen begonnen: Natascha sollte um 14 Uhr dort sein, ich um zehn. Aber als wir die Zeitverschiebung herausgerechnet hatten, war klar, dass wir genau im selben Moment erscheinen sollten.“

Michael Weber wandte sich an die Teilnehmer eines Internetforums: „Bereitet euch lieber mal auf eine zeitgleiche Befragung vor“, hieß es dort. Einige mögliche Fragen bekam er gleich mitgeschickt. „Trotzdem blieb die Ungewissheit, was die mit uns vorhatten. Wir hatten einfach Angst, dass uns jemand unsere Beziehung kaputtmacht.“ Scheinehe? Sie beide? Michael Weber, 43 Jahre, trägt das blonde Haar über der hohen Stirn kurz, redet langsam und mit Bedacht. Normalerweise. „Dass jemand überhaupt auf so eine Idee kommen konnte – das hatte für mich schon einen kriminellen Beigeschmack.“

Zwei Wochen blieben ihnen bis zum Termin. Von nun an änderten sich ihre Gespräche. Einmal etwa fragte Michael im täglichen Videochat: „Stimmt es eigentlich, dass du am liebsten Hühnchen isst?“ Die Antwort kannte er eigentlich schon seit langem, nur darüber geredet hatten sie noch nie. Ein anderes Mal fiel Natascha auf, dass Schuh- und Konfektionsgrößen in Kasachstan in anderen Einheiten gemessen werden. „Eigentlich wussten wir ja schon alles voneinander. Aber plötzlich wird man unsicher und fragt bei Kleinigkeiten noch mal nach“, sagt Michael Weber. Und so verwandelten sich ihre Gespräche in Vokabeltests, ohne, dass sie das wollten: Kaffee mit Milch und Zucker? Wirklich immer? Kann ich noch mal die Adresse Deiner Eltern haben? Wie hoch war Dein Einkommen noch mal genau? Also: ganz genau? „Ich habe mich gefühlt wie vor einer Prüfung“, sagt Natascha mit russischem Akzent. Sie ist 39 Jahre alt und trägt das lange blonde Haar hochgesteckt. „Die Zugfahrt nach Almaty kam mir deshalb ewig vor.“

1.000 Kilometer musste Natascha Weber von ihrem Heimatort bis zur deutschen Botschaft zurücklegen. Das dauerte 22 Stunden. Als nächstes: warten; in der Schlange, vor dem Gebäude. Erst punkt 14 Uhr öffneten sich für sie die Türen, als erstes musste sie ihr Handy abgegeben. Dann kamen zwei Frauen und brachten sie in einen Nebenraum. Eine der Frauen sprach einen norddeutschen Akzent, die andere dolmetschte. Das brachte Natascha Weber Zeit, denn sie verstand die Fragen meist sofort: Erst ging es um die persönlichen Angaben, dann um die Vorlieben. Erst um sie, dann um ihn. Anderthalb Stunden lang. Hühnchen, Milch und Zucker, nein, das Ehebett wird nicht gemeinsam genutzt. Noch nicht. Wie denn? Als sie aus dem Gebäude kam, war sie fertig.

Michael Weber hatte mehr Glück: Zur Ausländerbehörde musste er nur in die nächste größere Stadt fahren, außerdem schrieb er eine Klausur: Ein Beamter, der genauso gut Führerscheine hätte ausstellen können, sagte, es gebe einige Fragen und legte ihm einen Packen Zettel hin – mit genau den selben Fragen, wie bei Natascha. Und nach einer Stunde mit genau den selben Antworten: Das fiel ihnen auf, als sie den Test später gemeinsam durchgingen. Nach vier Wochen, die ihnen vorkamen wie zwölf, erhielten sie den Bescheid: Natascha würde das Visum bekommen.

Seit knapp zwei Jahren leben Michael und Natascha Weber nun gemeinsam in Deutschland. Wenn sie auf die zeitgleiche Befragung zurückblicken, dann können sie ihr heute positive Seiten abgewinnen: „Das war in gewissen Dingen auch ein Aufrichtigkeitstest: Hätte ich zum Beispiel über mein Einkommen gelogen, dann wären wir jetzt vielleicht nicht zusammen“, sagt er. „Außerdem wissen wir jetzt besser über uns bescheid als viele Leute, die 25 Jahre zusammen sind.“ Bei Michael und Natascha Weber sind es nur drei Jahre. Kennen gelernt haben sie sich über eine Kontaktbörse im Internet. Sie chatteten einige Monate, dann fuhr Michael Weber vier Wochen nach Kasachstan. Anschließend war ihnen klar, dass sie heiraten wollen.

Viele binationale Paare heiraten erstaunlich schnell: Oft lernen sich die Menschen kennen über eine Partnervermittlung oder ein Forum und entschließen sich gleich nach einem ersten Treffen zur Hochzeit. Ebenso sind unter den Heiratswilligen häufig Asylbewerber, denen die Abschiebung droht. Manchmal gibt es auch beträchtliche Altersunterschiede – all das sind Gründe für die Behörden, sich eine Ehe genau anzusehen. Schließlich könnte der wahre Grund für eine Hochzeit ja der Aufenthaltstitel sein, nicht etwa Liebe. Rechtsanwalt Elmar Hörnig hat jedoch eine andere Erklärung: „Natürlich habe ich hier manchmal Menschen sitzen, bei denen ich mir denke: Na ja, die große Liebe ist es vielleicht nicht. Aber andererseits haben viele  Leute auch gar keine andere Chance als die Heirat. Nur so können sie als Paar gemeinsam hier leben.“ Außerdem seien bei den Ämtern oft Vorurteile mit im Spiel: „Die denken dann schnell, dass hier irgendwelche armen Deutschen ausgenutzt werden.“

„Privilegierte Mischehe“ lautet ein Begriff, den die Nationalsozialisten Ende der 30er-Jahre prägten – und der einem der Ehepartner das Leben retten konnte. Gemeint waren damit Verbindungen zwischen einem Menschen, den die Nazis als „Volljuden“ definierten, sowie einem „deutschblütigen“ Partner – allerdings nur dann, wenn es gemeinsame Kinder gab und kein Kontakt zur jüdischen Kultusgemeinde bestand. Vorausgesetzt natürlich, die Ehe war nicht bereits unter dem großen Druck des Systems aufgelöst worden. Lange Jahre wurden „privilegierte Mischehen“ vergleichsweise unbehelligt gelassen, vermutlich, um Solidaritätsbekundungen zu verhindern. Mit der Folge, dass einige tausend Menschen der Ermordung entkamen. Parallel dazu gab es viele deutsche Emigranten, die eine andere Staatsbürgerschaft erlangen konnten, indem sie jemanden heirateten, den sie nicht liebten. Die Schriftstellerin und Kabarettistin Erika Mann etwa gehörte dazu. Keiner dieser Menschen musste je durch eine zeitgleiche Befragung. Andererseits natürlich geht es bei binationalen Ehen heute kaum mehr um Leben und Tod.

Und dennoch: Wer nach Scheinehen sucht, der muss auch wissen, was das überhaupt bedeutet: Selten funktioniert die Welt nach plakativen Mustern, nicht immer heiraten Menschen aus reiner Liebe – oder Gier. Viele Ehen liegen in einer Grauzone aus Schutzbedürfnis, ökonomischer Aufstiegsrechnung und echten Gefühlen, nicht nur bei binationalen Partnern. Wie ist es möglich, eine Ehe zu bewerten? Wer liebt richtig und wer falsch? Im Zweifel entscheidet eine Frage nach der Schuhgröße.

Bernd-Mouheddin Schmidt hat daraus seine Konsequenzen gezogen: Einstweilen hat er seinen Hauptwohnsitz nach Marokko verlegt, hier kann er mit seiner Frau zusammenleben. Er hat eine Petition beim Bundestag eingereicht und versucht parallel dazu, die deutsche Botschaft von seiner Ehe zu überzeugen. Die verlangt, jetzt, wo beide gemeinsam in Marokko leben, neue Nachweise: Chatprotokolle.

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