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Mit Rückfahrkarte

Flüchtlinge aus dem Kosovo haben kaum Chancen
auf Asyl. Deshalb kommen sie in Bayern
 in sogenannte Balkanzentren
.

Berliner Zeitung, 16.03.2016


Die schlimmste Zeit ist morgens um halb sechs. Oft kommen sie dann, schieben einen von den Nachbarn ab, machen Krach. Die Nachbarn machen Krach, weil sie ihre Koffer packen müssen, und die anderen Menschen auch, weil sie nun selber nicht schlafen können; meistens schreit irgendwo noch ein Kind. Wenn sie dann weg sind, die Polizisten und die Nachbarn, dann ist die Nacht vorbei und der Kopf leer. Aber eigentlich ist das auch egal. Beim Warten ist ein Kopf voller Ideen genauso wertvoll wie einer ohne jeden Gedanken.„Manchmal legen wir uns auch am Tag hin. Aber wir können nicht einschlafen vor lauter Langeweile“, sagt Ana Isofe (Name geändert).

Rund 1 000 Nachbarn hat Ana Isofe derzeit. Glaubt man der Bezirksregierung von Oberbayern, werdeneskontinuierlichweniger– denn in etwa genauso viele Menschenhabe den Ort,denderFreistaat Bayern„Ankunfts- und Rückführungseinrichtung I“ (ARE I) nennt, inzwischen wieder in Richtung ihrer Heimatländer verlassen. Zwei solcher Einrichtungen betreibt das Land, eine hier in Manching bei Ingolstadt, aufgeteilt auf drei Standorte, eine weitere in Bamberg (ARE II). Aber ARE I und AREII, das sind Begriffe, die außerhalb der Bürokratie eigentlich kein Mensch verwendet. Wer hierher kommt, der betritt das „Balkanzentrum“.

„Ein klares Signal“

Die Frage nach dem Namen ist so schnell beantwortet wie die, welche Menschen die Verlierer unter denen sind, deren Flucht in Deutschland endet. Weil Migranten aus Balkanstaaten fast ausschließlich solche sind, die das Prädikat „geringe Bleibeperspektive“ tragen, beschloss die Bayerische Landesregierung im vergangenen Spätsommer, mit ihnen anders umzugehen als mit anderen Flüchtlingen: Statt in dezentrale Einrichtungen kommen sie direkt in die Balkanzentren. Sie werden hier gesammelt, ihr Asylantrag wird vor Ort bearbeitet, ebenso ein eventueller Widerspruch – und dann geht es für sie nach Hause. Das ist der Plan.„Wir senden ein klares Signal in die Herkunftsländer, dass es keinen Sinn macht, sich auf den Weg zu machen.“ So hat Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) das zum Start gesagt.

Wenn man sich auf dem Gelände des Balkanzentrums in Manching bewegt, dann ahnt man, was sie meint. Am Wegesrand sprießt das Gras, sämtliche Büsche hat man einfach über dem Wurzelstock abgehauen. Bauzäune überall, Erdhaufen und Baracken. „Flugabwehrraketen, Gruppe 23“ steht an einer. Andere sind frisch gestrichen.Nun ist es nichts Besonderes, dass Asylbewerber in einer Einrichtung untergebracht werden, die ein bisschen nach Provisorium aussieht.Aber das trifft es nicht, hier ist der Abschied eingeplant, die Rückreise mitgedacht. Es gibt eine Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, es gibt eigeneVerwaltungsrichter – und eine Stelle der Zentralen Ausländerbehörde, die unter anderem dafür zuständig ist, Tickets für die Heimfahrt zu organisieren.

Dazu muss man wissen, dass ein Asylverfahren selbst dann eine langwierige Angelegenheit werden kann, wenn der Antragsteller eigentlich kaum eine Chance hat – auch für kasernierte Menschen gilt der Rechtsstaat, der Widersprüche und Aufschübe kennt. Freiwillige Rückreisen dagegen gehen von jetzt auf gleich, wenn es denn sein muss. Rund zwei Drittel der Menschen, die das Balkanzentrum bislang verlassen haben, sind freiwillig ausgereist.

Es ist nicht leicht, hier hereinzukommen, jedenfalls dann, wenn man nicht vom Balkan stammt. Es dauert Monate, bis die Bezirksregierung von Oberbayern zu einem Pressetermin bereit ist – und bestimmte Bereiche sind dann immer noch Tabu. Wie arbeitet hier eigentlich die Verwaltung? Wie haben es all die Angestellten der Zentralen Ausländerbehörde geschafft, Hunderte von Menschen zur Ausreise zu überreden? Das wüsste man gerne, aber die Behördenmitarbeiter reden nun mal nicht mit Journalisten.

Immerhin ist Maria Els gekommen, Regierungsvizepräsidentin von Oberbayern; eine Frau, deren Sätze ein wenig die von Edmund Stoiber erinnern. „Wir bezwecken eine schnelle Durchführung der Verfahren. Denn wir wollen Kapazitäten haben für Asylbewerber, bei denen die Wahrscheinlichkeit der politischen Verfolgung höher ist oder die vor einem Bürgerkrieg geflüchtet sind.“

Das ist das eine Ziel der Balkanzentren, es gibt noch ein weiteres. „Wir sind bemüht, die Aufenthaltsqualität zu verbessern“, sagt Maria Els und zählt dann auf: Bald soll man hier Sport treiben können, eine Teestube sei geplant, vielleicht erweitere die Caritas ihr schon bestehendes Betreuungsangebot. Außerdem gingen die Kinder in die Schule. Mathe, Sachkunde, Englisch, Kunst, Musik, all das werde vermittelt. Frau Els, was ist mit dem Fach Deutsch? „Das Ziel ist, die Kinder weiterzubringen. Sie sollen einen Nutzen haben, wenn sie später in ihre Heimat zurückkehren.“Also kein Deutsch, verstanden.

Und vielleicht auch keine Schule: „In den letzten Wochen ist der Unterricht immer ausgefallen. Warum, das hat man mir nicht gesagt.“ Sagt Ana Isofe. Sie lebt seit dem Frühherbst im Balkanzentrum, gemeinsam mit ihrem Mann und ihren drei Kindern bewohnt die junge Frau mit dem blonden Pferdeschwanz ein paar Quadratmeter im Erdgeschoss einer der Baracken. Wenn man Ana Isofe fragt, wie das Leben im Zentrum verläuft, erhält man als erstes eine Aufzählung des Mangels. Es gibt keine Bettwäsche, sondern nur Tücher aus Fleece. Radios im Zimmer sind nicht erlaubt. Wasserkocher im Zimmer sind nicht erlaubt. Lebensmittel im Zimmer sind – man ahnt es. Freizeitangebote? Nie gehört. In der Kantine: Plastikbesteck, Trinkwasser darf den Raum nicht verlassen und: Salami, Salami, Salami. Jeden Abend.

Es ist nicht so, dass man Ana Isofe zuhört und denkt: unmenschlich. Tatsächlich kann man ja auch alles begründen:Angesichts der alten Stromleitungen besteht in den Zimmern Brandgefahr. Lebensmittel in den Wohnräumen könnten verrotten. Und was ist, wenn Dutzende aufgebrachte Menschen plötzlich mit Metallbesteck aufeinanderlosgehen? Es ist eine Welt voller Regeln und Rituale, von derAna Isofe erzählt,und wenn man sie alle verstanden und verinnerlicht hat, bleibt einem vom Leben nur noch ein riesiges schwarzes Loch. „Das hier ist ein riesiges Gefängnis, aus dem man ein- und ausgehen kann“, sagt sie. Was nicht viel bringt, denn vor der Tür gibt es nur Felder und eine Ausfallstraße. Geld für den Bus hat kaum einer.

Und doch gibt es eine Lösung: Sie heißt „Ausländerbehörde“ und ist in den Gesprächen der Menschen ganz alltäglich geworden. „Das höre ich oft. Wenn einer es nicht mehr aushält, dann sagt er: Mir reicht es, ich gehe zur Ausländerbehörde“, sagt Ana Isofe Wer dasmacht,ist ganz schnell draußen aus dem Nichts. Hat sofort Tickets und kann in sein Heimatland.

Ana Isofe ist Kosovarin oder Westfälin, je nach Blickwinkel: Geboren ist sie in Bielefeld, aufgewachsen in Münster. Erst als sie zwölf war, lernte sie jenes Land kennen, das ihre Heimat sein sollte – und musste bleiben, der Bürgerkrieg war vorbei und die Familie ausgewiesen.Sie heiratete früh, ihr Mann hielt die Familie über Wasser, indem er Getränke preiswert in Serbien ein - und teurer im Kosovo weiterverkaufte. Bis er deswegen von lokalen Mafiosi bedroht und zusammengeschlagen wurde. Jetzt, wo sie 27 ist, ist sie deswegen wieder hier. Man kann es ihr glauben, dass sie nicht zurück kann oder es sein lassen. Was man aber sagen kann, ist, dass Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo heute nur noch in Ausnahmefällen bewilligt werden. Und dass Menschen, deren Antrag abgelehnt wurde, eine Einreisesperre in die EU erhalten.Wer freiwillig geht, nicht.

Wenn es einer nicht mehr aushält, dann kommt er oft zu Mona Meilinger ins Büro. Sie und ihre Kollegen der Caritas beraten die Bewohner in ihren Asylverfahren und bei psychosozialen Problemen.„Und das hat man hier durchaus häufiger.“ Oft hat sie jemanden im Büro sitzen, der erst herumdruckst und auf Nachfrage dann einräumt, er sei bei seiner Rückkehr in Gefahr. „Man kann das nicht pauschal über den Kosovo sagen, aber es gibt immer wieder Menschen, die von Blutrache, Familienfehden oder sexueller Gewalt und Ausbeutung betroffen sind. Und die Leute werden nach ihrer Rückkehr gefunden, denn es ist kein besonders großes Land und es gibt enge gesellschaftliche Netzwerke.“

Politische Verfolgung ist all das nicht. Auch im Kosovo gibt es eine Polizei,und an die könnte man sich wenden. Ob sie einem tatsächlich helfen kann, muss man in einem Land mit wenig ausgeprägten staatlichen Strukturen dann selbst herausfinden. „Den Leuten ist größtenteils klar, dass sie keine Chance auf Asyl haben. Das spricht sich hier auch wahnsinnig schnell herum.“

Das, was notwendig ist

Es ist ein kleines Büro, in dem Mona Meilinger arbeitet, voller Ordner und mit hellgrauem PVC-Boden.Gemeinsam mit zwei Kollegen teilt sie sich hier anderthalb Vollzeitstellen. Das ist alles, was es an Betreuung gibt.

Derzeit ist nicht mal sicher, dass es in einigen Monaten überhaupt noch ein Büro gibt.Woran das liegt, ist kaum aus den Leuten herauszubekommen; es ist etwas, das offenbar alle denken und keiner aussprechen will. Ein Kollege sagt immerhin: „Das hier ist geschaffen worden, um die Leute möglichst schnell wieder in ihre Heimat zu bekommen. Und das spiegelt sich in der Unterbringung.“ Eine Sprecherin der Bezirksregierung von Oberbayern teilte jüngst mit, im AREI reiche eine „niederschwellige Sozialbetreuung“.

Man kann nicht sagen, dass den Menschen im Balkanzentrum irgendetwas Lebensnotwendiges fehlenwürde.Sie erhalten das,was ihnen zusteht. Und zwar genau das. Und das ist dann auf eine andere Weise viel zu wenig.

Ana Isofe will definitiv nicht zurück. Sie und ihr Mann haben sich einen Anwalt genommen. Er sehe gute Chancen, dass sie im Land bleiben können, sagt sie. „Der Mann hat sich gewundert, dass wir überhaupt hierher geschickt worden sind.“ Und wenn er unrecht hat? Was ist, wenn der einzigeWeg aus dem Balkanzentrum in den Kosovo führt?„Dort können wir nicht bleiben. Das geht einfach nicht.Wir müssen es dann in einem anderen Land probieren.“ Irgendwoanders, in einem Kontinent voller Zäune.


   
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